Von der Kunst, keinen Koffer zu packen

Eine Kurzreise stand vor der Tür. Wir wollten nach Berlin zum Mensa-Sommerfest und uns dort mit meinem Bruder treffen. Ich fahre immer wieder gern nach Berlin. Es ist meine liebste Großstadt, nach dem Ruhrgebiet natürlich. Vermutlich, weil es die einzige ist, in der ich mich halbwegs auskenne. Donnerstag Nachmittag sollte es losgehen. Ich packte meinen Koffer schon Mittwoch Nachmittag um am Donnerstag keine Hektik zu haben, nahm einen leeren Koffer für Cheri mit und fuhr zu ihm. 

Es war schon nach acht, als ich bei ihm ankam. Er war beschäftigt mit irgendeiner Technikbastelei. Kurz nachdem ich dort war, erklärte er mir, dass er ja noch Wäsche aufhängen müsse. Ich guckte skeptisch. Er erläuterte, er habe vorhin festgestellt, dass er keine Shirts mehr im Schrank hatte. Das leuchtete ein, wieso sollte man auch vorher feststellen, dass man waschen muss? 15 Stunden vorher waren schließlich genug. Immerhin waren es nur drei von den Shirts aus der Waschmaschine, die mit sollten. Wir hängten sie auf Bügel und auf den Balkon. Falls sie nicht trocken wären, würde ich sie am nächsten morgen mitnehmen, bei mir trocknen lassen und dann in meinen Koffer packen.

Ich war in dem irrigen Glauben, dass er nun seinen Koffer packen würde. Weit gefehlt. Ein Onkel war kurz zuvor gestorben und es musste natürlich erst noch eine Kondolenzkarte geschrieben werden, mit der großen Tochter telefoniert werden, um zu sehen, ob sie eine eigene Karte schreiben würde, außerdem die Adresse im Ipad vervollständigt werden und ebendiese Daten ans Töchterchen geschickt werden. War ja wichtig, ohne Zweifel. 

Nun konnte man sicherlich mit dem Packen beginnen. Er guckte mich an, wie ein Welpe, dem man eine Physikklausur vor die Nase legte und fing zaghaft an, Socken und Unterwäsche aufs Bett zu legen. Dabei kontrollierte er jedes einzelne Teil auf Beschaffenheit, Qualität und was auch immer man an einem Paar Socken so kontrollieren konnte. Zögerlich nahm er auch ein Unterhemd aus der Kommode und erklärte mir, dass es ja fürchterlich kalt werden könne. Ich nickte gnädig. Wegen eines Unterhemdes würde ich sicherlich keine Diskussionen beginnen. Ich erhaschte seinen Blick auf seine Kuscheldecke. Natürlich musste die auch mit. Nun lagen schon einige Sachen auf dem Bett und Cheri erklärte mir, dass er den Rest ja auch morgen früh fertigpacken könne.

Ich erklärte ihm meinerseits, dass man die Sachen, die man mitnehmen wolle auch direkt in den Koffer packen könne. Er guckte mich ungläubig an. Das letzte mal, als ich ihm beim Packen zugesehen hatte, kam an dieser Stelle die Diskussion darüber, dass er den Rest ja am Abend und in der Früh noch brauche. Ich schlug vor, schon mal die Hausschuhe in den Koffer zu packen und sein Kulturtäschchen zu packen. Die Hausschuhe müssten immer ganz nach unten, habe ihm seine Mutter beigebracht. Ich drohte kurz mit einem Kontrollanruf bei seiner Mutter, bevor er ergänzte, dass er nicht mehr wisse, ob sie es wirklich war, die ihm das Kofferpacken beigebracht habe. 

Ich erwähnte wieder das Kulturtäschchen. Natürlich war dies der perfekte Anlass, über diesen merkwürdigen Ausdruck zu sinnieren. Was hatte das mit Kultur zu tun? Die Osterreicher (oder waren es die Schweizer) finden ebendiesen Ausdruck z.B. wirklich lächerlich. Es half nichts. Nichtmal die Recherche, wie denn wohl dieses Beutelchen in anderen Kulturen heißt. 

Er beschloss seine „Kultur“ ins Täschchen zu packen. Ein Leuchten des Triumphes schien aus seinen Augen. Das Täschchen war offenbar im Keller. Er signalisierte einen Punktesieg, was wäre denn gewesen, wenn er die Hausschuhe tatsächlich schon in den Koffer gepackt hätte? Ich schmetterte ab, Nix! Er hätte sie wieder herausgeholt und wäre in den Keller gegangen. Dabei wären sie aber vielleicht schmutzig geworden, konterte er. Ich zweifelte an diese Logik. Sie wären nicht schmutziger als jetzt. Das sei nicht vergleichbar, immerhin sei er damit schon die ganze Zeit durch die Wohnung gelaufen. Er habe sie quasi saubergelaufen. Ich gab auf. Er ging in den Keller. Als die Wohnungstür aufging rechnete ich mit dem Schlimmsten, da war bestimmt irgendwo noch eine Lampe aufzuhängen. Beim letzten Kofferpacken stand er in einer ähnlichen Situation mit einer Schnur im Wohnzimmer und erklärte mir, dass er noch die Rosen hochbinden müsse. 

Nichts dergleichen geschah. Er kam ohne Täschchen aus dem Keller. Offenbar war es nur im Flurschrank gelandet und nicht im Keller. Er packte verschiedenes in das Täschchen, ließ es aber im Bad liegen. Er brauchte die Sachen ja noch.

Ich versuchte nicht länger, das Kofferpacken zu forcieren, es war ohnehin sinnlos. Er würde am nächsten Morgen, während er auf den Installateur und den Fliesenleger wartete, die Sachen in den Koffer werfen. Ich legte mich ins Bett. Er folgte, nicht ohne sich darüber zu beschweren, dass ja unnötigerweise seine Unterwäsche auf dem Bett herumlag. Ich schüttelte den Kopf, sah den leeren Koffer an und beschloss,  mich nie wieder mit seinem Koffer zu beschäftigen. Wozu auch, was Heinzchen nicht lernt, lernt Heinz nimmermehr. Wobei… eine Live-Aufzeichnung von Cheri beim Kofferpacken, könnte man prima als Comedy vermarkten.