Loriot war schuld… an allem…

MIST… dachte sie… MIST… MIST… MIST und fing an, in ihrer Handtasche nach Handy und ADAC-Karte zu wühlen.

Wie konnte ein einzelner Mensch nur so dämlich sein, dabei hatte der Tag ganz normal angefangen. Ein stinknormaler Samstag. Sie hatte ausgeschlafen, in Ruhe gefrühstückt, ein bisschen gechattet und sich dann ein wenig um den Haushalt gekümmert. Nichts aufregendes, aber sie hatte gestern Abend Brötchen gebacken und danach alles stehen und liegen gelassen. Also räumte sie in Ruhe auf und versorgte ihre Urlaubskatze. Dann duschte sie und zog sich an, um auf ein Richtfest zu gehen. Wenn ihr Liebster schon nicht bei ihr sein konnte, an diesem WE, dann konnte sie auch den Bauherren eine Freude machen, und mal ausnahmsweise an einem Samstag auf ein Richtfest gehen.

 

Auch der Rest des Tages war eigentlich verplant. Nach dem Richtfest wollte sie in einen Supermarkt in der Nähe der Baustelle, ihren Wocheneinkauf erledigen und dann nach Hause. Ein Freund wollte vorbeikommen und was mit ihr essen gehen und dann wollten sie gemeinsam zu Freunden nach Bochum fahren… und statt dessen, stand sie nun, nach dem Richtfest und dem Einkauf, auf der Autobahn und musste den ADAC anrufen.

In dem Moment, als sie auf die Autobahn auffuhr wusste sie instinktiv, dass es ein Fehler war. Eigentlich hätte sie für die Paar Kilometer gar nicht über die Autobahn fahren müssen, der Weg über Land war genauso weit. Außerdem fuhr ein Polizeiauto in dem Moment auf die Autobahn. Jeder normale Mensch wird hellhörig und überdenkt die Strecke, aber nein, Anna fuhr auf. Wenige hundert Meter später ging nichts mehr. Alle Autos standen und es bewegte sich gar nichts mehr. Der Verkehrsfunk im Radio meldete einen Unfall und eine Sperrung für voraussichtlich zwei Stunden. MIST… dachte sie. Nach dem Verkehrsfunk zappte sie durch die Radiosender und hörte die Stimme von Loriot. Er war am Montag gestorben und seine gesammelten Werke liefen durch alle Medien… HOHO HOHOHOHO HOHO HOHO HOHOHO *pft -Otto Kohl fühlt sich unwohl am Pol ohne Atomstrom… sie liebte diese Sketche und lauschte gebannt dem Programm von WDR5.

Um sie herum war ein reges Treiben auf der Autobahn. Vor ihr stieg ein Mann aus dem Transporter und ging die Böschung hinauf, um sich dort zu erleichtern. Im Auto nebenan wurden Karten gespielt. Im Auto daneben stieg man aus und holte den Kuchen aus dem Kofferraum. Ein Mann ging mit einem Klemmbrett und einer Liste um seinen LKW, offensichtlich machte er seinen Check heute mal auf der Autobahn. Zwischendurch fuhren 3 Feuerwehrwagen, 3 Polieiautos, zwei Abschleppdienste, zwei Wagen mit beweglichen Pfeilschildern und ein großer LKW mit einer ebenso großen Straßenreinigungswalze am vorderen Ende vorbei.

 

Sie holte sich zwei Balistos und ein Mineralwasser aus dem Kofferraum und genoss weiterhin die alten Loriot-Hörspiele, die im Radio liefen. Ihre Verabredung zum Essen hatte sie schon abgesagt. Der Freund würde trotzdem bei ihr zu Hause vorbeifahren und ein Paar Baustützen aus der Garage nach Bochum mitnehmen, sie wurden dort gebraucht. Sie konnte sich zu diesem Zeitpunkt aber nicht festlegen, wann und ob sie nach Bochum hinterherfahren würde. Sie stand ja noch im Stau und hörte Loriots Adventsgedicht.

Mittlerweile hatte sie ihrem Liebsten und auch ihrem Bruder von ihrem Dilemma erzählt und harrte nun der Dinge, die da noch kommen sollten. Das ärgerlichste an der ganzen Situation war, dass sie genau genommen 2000 m vom Autobahnkreuz entfernt stand und unentwegt von dem aufdringlichen Schild vor ihrer Nase auch noch darauf hingewiesen wurde. Vom Kreuz aus wären es maximal nochmal 1500 m bis nach Hause. Wenn sie ihr Auto doch einfach stehen lassen könnte, und nach Hause laufen. Man konnte ihr Haus praktisch schon riechen und trotzdem saß sie fest. Auf dieser dämlichen Autobahn, die sie eigentlich genauso gut hätte umgehen können. Aber sie dachte sich, es hätte auch schlimmer kommen können. Sie sah den Leuten zu, wie sie sich reihenweise in die Büsche schlugen, mit dem Hund Gassi gingen, oder anfingen, sich mit den Insassen der übrigen Autos zu unterhalten. Sie widmete sich dem Radioprogramm und schmunzelte über Herrn Müller-Lüdenscheid und Herrn Doktor Klöbner.

Immerhin, eine knappe Stunde nachdem sie auf die Autobahn gefahren war, setzten sich die Autos vor ihr in Bewegung. Sie drehte ihren Zündschlüssel, das Auto machte ein Paar jämmerliche Geräusche und nichts passierte. MIST… dachte Sie … um sie herum entstand ein Hupkonzert, was fiel ihr ein, einfach nicht loszufahren, Frechheit aber auch!

Der Fahrer des Wagens hinter ihr stieg aus, hörte sich das Geräusch an und teilte ihr mit, dass ihre Batterie offenbar den Geist aufgegeben hatte. Er half ihr, den Wagen beiseite zu schieben, sie machte die Warnblinkanlage an und wühlte nach dem Handy um den ADAC anzurufen. MIST… MIST… MIST… Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis sie der Dame am Telefon erklärt hatte, wo sie stand. Nun musste sie erstmal warten. Darin hatte sie ja jetzt Erfahrung. Der einzige Unterschied war, dass alle anderen jetzt fahren konnten. Anfangs zwar nur sehr langsam, aber immerhin, sie fuhren nun und Anna STAND. Auf dem Standstreifen, dessen Funktion sie damit genau ins schwarze traf. Im Gegensatz zu den oberschlauen „rechts-Dranvorbeifahrern“, die den Standstreifen gern zum „Dranvorbeifahren“ nutzen wollten und denen sie natürlich ein Dorn im Auge war.

Es dauerte auch nicht lange, da hielt vor ihr ein polnischer Van. Die Jungs stiegen aus und öffneten die Motorhaube, aus der eine große Dampfwolke stieg. OK, dachte Anna, es kann tatsächlich auch noch schlimmer kommen. Nun hatte sie jedenfalls verschiedene Schauspiele, denen sie sich widmen konnte. Es waren einerseits die mittellangsam vorbei schleichenden Autos, aus denen sie angeschaut wurde, wie jemand, der offenbar nicht verstanden hat, dass der Stau jetzt beendet war. Andererseits hatte sie die Einfädelversuche der „rechts-Dranvorbeifahrer“ und die damit verbundenen Hupkonzerte von den übrigen Spuren und zu guter Letzt, die polnischen Jungs, die mit allerlei Werkzeug aus dem eigenen Wagen, sowie mit Hilfe der Werkzeuge und des Wassers aus den anhaltenden polnischen Autos versuchten, ihren Van zu reparieren.

Wie beneidete sie die tuckertucker-Geräusche der Käfer-Karawane, die irgendwann an ihr vorbeizog. Ein gutes Dutzend verschiedener Käfer und ein Paar alte Renaults, also keine Enten, sondern die anderen, die ein bisschen wie ein Enten-Transporter aussahen. Wie gern hätte sie jetzt auch so ein tuckern unter der Motorhaube. Aber nein, ihr Auto machte nur noch Winselgeräusche, wenn sie versuchte, den Motor zu starten. Irgendwann winselte sogar die Warnblinkanlage und sie schaltete sie resigniert aus.

Ein vorbeifahrender Polizist plauderte kurz mit ihr, half ihr den Wagen noch ein wenig weiter nach rechts zu schieben und forderte sie auf, nun doch das Warndreieck aufzustellen, weil der Verkehr langsam schneller wurde. Sie hatte jedes Interesse an dem Treiben um sie herum verloren, als endlich der ADAC-Abschleppdienst erschien. Die Kabel waren gerade lang genug, um ihr Starthilfe zu geben. Naja, fast lang genug, aber mit Hilfe eines Schraubenzieheraufsatzes klappte es dann doch. Der Motor schnurrte und es klang noch lieblicher als Loriots sprechender Hund.

Sie fuhr nach hause, natürlich nicht, ohne vorher noch eine halbe Stunde sinnlos über die Autobahn zu fahren, um ihre Batterie aufzuladen. Wenn Loriot geahnt hätte, was er mit seinen göttlichen Hörspielen anrichten würde… hätte er sich wohl köstlich amüsiert… may he rest in peace :o)

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